Mittwoch, 17. Juni 2009

Hören Sie zu, Frau Schavan?

"Es kann doch niemand im Ernst finden, dass Deutschland aus diesem europäischen Bildungsraum aussteigen soll", sagte unsere liebe Bildungsministerin Schavan heute während einer Pressekonferenz. Tatsache ist allerdings, dass viele sie so lieb gar nicht haben. Aus gutem Grund. Mit dem Satz beantwortet sie wahrscheinlich wunderbar politisch mal wieder eine Frage, die eigentlich keiner gestellt hat.

Bei den Bildungsprotesten in Berlin jedenfalls wurde nicht gefordert, dass Deutschland aus irgendetwas aussteigt. Und auch wenn diverse Medien oft genug etwas anderes suggerieren, ist lediglich eine Minderheit dafür, Bachelor und Master wieder komplett abzuschaffen. Würde Frau Schavan den jungen Leuten mal ernsthaft zuhören, wäre ihr das vielleicht auch klar.
Es geht vielmehr darum, die Studienreform sinnvoll umzusetzen. Durchdacht war die Sache sicherlich nicht, was beispielsweise Studienordnungen, die fast jährlich geändert werden, deutlich machen.
Europäisch angepasst soll das ganze sein und "Mobilität schaffen". Es ist eine Sache, sich solche Ziele zu setzen, möglicherweise auch mit den besten Absichten. Die Augen davor zu schließen, dass einiges ganz schön schief gegangen ist, ist allen Betroffenen gegenüber aber äußerst unfair.
Hinzu kommt, dass der Bachelor in vielen europäischen Ländern dem Deutschen nicht sonderlich ähnelt, angefangen bei der Studiendauer von vier Jahren.

Frau Schavan mag kein Verständnis für die Proteste haben. Noch viel weniger Verständnis haben Schüler, Studenten und auch Lehrende aber für ihre Bildungspolitik, die mit Bildung nur noch wenig zu tun hat. Die Dame sollte einmal selbst versuchen, einen Nebenjob (auf den viele schlichtweg angewiesen sind) und ihr Studium unter einen Hut zu bringen. Und zwar so, dass sie überdurchschnittlich gut abschneidet, um hinterher auch ja einen Platz für einen Master zu bekommen.

Soll das Studium nicht Spaß machen? Ist es naiv zu denken, dass die meisten Studenten ihren Studiengang aus Interesse wählen und nicht, um möglichst schnell fertig zu sein und Geld zu verdienen? Und warum darf ein Geographie-Student keine Zeit haben, um sich auch mal in eine Veranstaltung der Philosophen zu setzen? Einfach nur, weil er Freude daran hat zu lernen, auch, wenn er dadurch keine Punkte sammeln kann?

Schauen wir uns in der Welt um, genießen wir in Deutschland zweifelsfrei noch immer eine bessere Bildung als in vielen anderen Ländern. "Besser" heißt aber nicht, dass sie gut ist oder alle dieselben Bildungsmöglichkeiten haben.

Die Titel-Frage ist übrigens ernst gemeint. Ich frage mich, wie selektiv Frau Schavans Wahrnehmung eigentlich ist.

Dienstag, 2. Juni 2009

Nachrichtenwert

Um ehrlich zu sein habe ich es nur am Rande mitverfolgt. Gut, ein Flugzeug ist abgestürzt, über 200 Menschen an Bord, das ist schlimm. Sehr sogar. Wirklich bewegt hat es mich aber nicht, es schien zu weit weg zu sein, nichts mit mir zu tun zu haben.

Dachte ich jedenfalls. Und heute Morgen dann diese Mail, durch die plötzlich alles anders wurde. Ein Freund schrieb mir, dass eine gemeinsame Bekannte an Bord der Maschine gewesen sei. Sie war Stewardess bei der Airline.

Es ist verblüffend, wie schnell sich Bedeutung verschieben kann, Ereignisse mit einem Mal viel mehr Gewicht bekommen, wenn man Bezug zu ihnen bekommt. Sie werden dadurch persönlicher.

Dass Nähe ein Nachrichtenwert ist kommt jedenfalls nicht von ungefähr.

Mittwoch, 20. Mai 2009

Ungeschminkt

"Und dann hat die die Tür aufgemacht und war echt mal total ungeschminkt." Der junge, leicht gebräunte Mann mit den kurzen blonden Haaren schien selbst erstaunt, über das, was er da sagte. Sein Kumpel, ebenfalls etwas gebräunter als um die Jahreszeit üblich, saß ihm im Bus gegenüber und sah ihn denn auch skeptisch an. "Wirklich?", wollte er wissen.
"Ja, man, wenn ich's Dir sage, die hatte echt nix im Gesicht und die Haare war'n auch nicht gemacht", antwortete der blonde. "Und dann hatte sie so 'ne komische Schlabberhose an. Ich fand' das richtig gut, so natürlich, weißt Du. So damit ich wirklich sie kennenlerne und nicht bloß ihr Aussehen." Sein Kumpel schien beeindruckt, als bekäme er sowas nicht oft zu hören. Als wäre es etwas ungemein außergewöhnliches.

Ich saß neben ihm und konnte mir ein Grinsen kaum verkneifen. Wieviele Welten es in Berlin doch zu geben scheint. Darüber bin ich immer wieder erstaunt, daran gewöhnen tue ich mich offensichtlich nicht. Würde ich meine Wohnungstür öffnen, geschminkt und aufgestylt, obgleich ich zum Filmabend verabredet bin - meine männlichen Freunde (und die weiblichen natürlich auch) würden mich sehr seltsam anschauen. Es wäre etwas außergewöhnliches.


Dienstag, 28. April 2009

Brief vs. Email

Ich würde es gerne mal versuchen. Zwei Wochen lang, vielleicht einen Monat. Keine SMS, kein Internet und somit weder Emails, Facebook oder studivz.
Manchmal fällt es mir schwer, mich überhaupt noch an die Zeiten zu erinnern, in denen mir Briefe geschrieben wurden, in denen mich Freunde angerufen haben statt Textmitteilungen oder Emails zu schreiben. Verabredungen waren verbindlicher und die Kommunikation fand ich weitaus persönlicher. Es ist schön, die Stimme des anderen zu hören oder die Handschrift zu lesen. Das schafft viel mehr
Nähe. Warum zehn SMS, wenn man auch einfach miteinander reden kann? Warum studivz, wenn es sowas wie Festnetz gibt?

Wie würden mei
ne Mitmenschen reagieren, würde ich mein Handy und meine Internetverbindung für ein paar Wochen abschalten? Wer würde wohl anrufen oder gar einen Brief auf richtigem Papier schreiben? Und mit wem würde der Kontakt erstmal abbrechen?

Es wäre ei
n Selbstexperiment und ich würde es zu gerne einmal ausprobieren.

Donnerstag, 9. April 2009

Mit Damen am Tisch

Die meiste Zeit fühlte ich mich außen vor gelassen, unbeteiligt. Das war nicht weiter schlimm, ganz im Gegenteil. Ich fand meine Beobachterposition ziemlich spannend. Auf diese Weise konnte ich viel besser wahrnehmen, wie die beiden alten Damen, mit denen ich am Tisch saß, miteinander umgingen. Das war einen guten Teil der Zeit über recht amüsant. Oft redeten beide mehr oder weniger gleichzeitig. Ich frage mich, ob es wohl einen Unterschied gemacht hätte, wäre jede in einem anderen Raum gewesen. Zudem hörte Rosa, mit 85 die ältere der beiden, schlecht, ihr Hörgerät trug sie an dem Tag nicht (sie fand das Ding allgemein ziemlich nervig). Auch Maria, 83 und die jüngere Schwester, hatte nicht mehr das perfekte Gehör.

So erzählte also jede, was sie dieses Jahr im Garten anpflanzen würde, welches Gemüse in der letzten Saison besonders gut gewachsen sei, was sie von Kunstdünger hielt und an welcher Stelle im Garten die Erde am fruchtbarsten sei. Zwischendurch wechselten ihre kleinen Monologe immer wieder mal zu einem richtigen Gespräch. „Hä? Ja, Rosenkohl haben wir auch schon lange keinen mehr gesät, der kommt einfach nicht richtig“, meinte Maria, als Rosa erklärt hatte, sie verzichte dieses Jahr auf das Gemüse. „Ihr habt hier halt auch nicht den richtigen Boden dafür. Bei mir ist's immer ganz gut gewachsen, ich will mir aber die Mühe nicht mehr machen.“

Ich fand es beeindrucken, wie viel die beiden über Pflanzen und jeglicher Art wussten. Sie konnten sagen, welche Kräuter gegen welche Wehwehchen gut waren, welche Erde für welches Gemüse am geeignetsten war, wann welche Sorte gesät werden musste. Von Tierzucht und Kochkünsten möchte ich hier gar nicht anfangen.

Die Schwestern waren Bäuerinnen, Landkinder, von klein auf. Trotz ihrem hohen Alter arbeiteten sie noch draußen, kochten und putzten. Langsamer, ja, geistig aber wach wie eh und je.
Traurig ist, dass viel von diesem Wissen verloren gehen wird, obgleich beide einiges an ihre Kinder und Enkel weitergaben und -geben.
Womöglich faszinierte es mich auch deshalb so sehr, mit den Frauen an einem Tisch zu sitzen, ihnen zuzuhören. Weil ich wusste, dass derlei Gespräche buchstäblich aussterben.

Mittwoch, 1. April 2009

Und das steht für...?

„North Atlantic Treaty Organisation“, kurz: NATO. Die Abkürzung ist dieser Tage in aller Munde bzw. in allen Medien. Beim gebildeten Bürger kann man wohl voraussetzen, dass er weiß, wofür die vier Buchstaben stehen.
Oder nicht? Die meisten Zeitungen, Fernseh- und Radiosender tun jedenfalls genau das. Obwohl ich gezielt danach Ausschau hielt, fand ich keinen Artikel oder Beitrag, in dem der Begriff erläutert wurde. War das Zufall?

Vielleicht. Vielleicht macht sich aber auch einfach keiner mehr die Mühe, ihn zu erklären. Das ist schade. Schließlich gibt es genug Leute, die eben nicht wissen, was die Abkürzung bedeutet. Beispielsweise Menschen, die gerade erst anfangen, sich für das Thema zu interessieren. Heranwachsende etwa. Mit Intelligenz hat das herzlich wenig zu tun. Auch, wenn das für die Redakteure ermüdend sein mag, sollten sie derartige Kürzel immer wieder mal auseinander setzen. Schließlich haben die Medien in Deutschland eine Bildungsfunktion.

Freitag, 6. März 2009

Wenn ein Kind im Kind wächst

Mir war nicht klar, dass es biologisch überhaupt möglich ist. Vielleicht, weil ich es schlicht nicht erwartet habe, weil es nicht vorkommen sollte. Sollte.

We
nn ich an ein neunjähriges Mädchen denke, sehe ich ein kleines Persönchen vor mir, das klischeehaft mit Puppen spielt oder im Garten herumtollt. Ich sehe Kinderlachen, die eine oder andere Schramme und somit Träne. Was ich definitiv nicht sehe, ist eine Schwangere.

I
n Brasilien wurde eine Neunjährige von ihrem Stiefvater vergewaltigt und geschwängert. Als herauskam, dass das Kind ein Kind erwartet, missbrauchte der Mann das Mädchen bereits seit sechs Jahren.

Wie ka
nn man in dem Alter ein Baby, in diesem Fall sogar Zwillinge, austragen?
Ärzte der Kleinen erklärten, sie sei in Lebensgefahr. Das Mädchen trieb ab.

Brasilie
n ist ein katholisches Land, Abtreibungen sind nicht gern gesehen aber legal, wenn die Mutter vergewaltigt wurde oder in Lebensgefahr schwebt. Bei der Neunjährigen trifft beides zu.
Trotzdem hat
nun die katholische Kirche sowohl die Ärzte, die den Eingriff vorgenommen haben als auch die Mutter der Schwangeren exkommuniziert. Für den Vatikan kommt Abtreibung einem Mord gleich.

Ich frage mich aber, ob es
nicht genauso gut ein Mord gewesen wäre, hätte das Mädchen die Schwangerschaft nicht abgebrochen. Abgesehen vom physischen Sterben, wäre der Kleinen dadurch nicht genauso ein Leben geraubt worden? Ist es ihr womöglich bereits geraubt worden, durch die Vergewaltigungen, die sie durchstehen musste und sicherlich für den Rest ihres Daseins mit sich herum trägt?

Stellt sich auch die katholische Kirche diese Frage
n, wenn sie Abtreibungen kategorisch ablehnt?