In Mumbai leben etwa 18 Millionen Menschen. Die Stadt ist ein einziges Chaos aus Rikshas, Taxis, klapprigen Bussen und anderen Fortbewegungsmitteln. Straßen sind meist überfüllt und es ist nie vollkommen still. Bestimmte Bevölkerungsschichten bleiben in bestimmten Stadtteilen und das Kastensystem ist präsenter als man sich vielleicht eingestehen mag.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in einer solchen Riesenstadt zufällig jemanden trifft, von dem man nicht einmal weiß, dass er sich in Indien befindet? Oder jemanden, der eigentlich in einem anderen, entfernten Bezirk wohnt als man selbst? Mathe war nie mein Spezialgebiet, aber ich würde mal behaupten, dass es nicht eben selbstverständlich ist.
Ich kann mich nicht an die Sekunde erinnern, in der ich ihn wahrnahm. Plötzlich blieb mein Blick an seinem Gesicht hängen, es war dieser typische Moment, in dem man zweimal hinschauen muss, um sich wirklich darüber bewusst zu werden, was man da sieht. Bei ihm schien es ähnlich gewesen zu sein. Wir sahen uns kurz in die Augen, ohne unsere Schritte zu verlangsamen – und schon war er wieder im Gewühl der Menschen verschwunden.
Ein Weilchen grübelte ich noch darüber nach, ob ich denn nun richtig gesehen hatte oder ob es lediglich ein Doppelgänger gewesen war.
Gibt es Schicksal? Oder ist alles immer bloßer Zufall? Was war es, das mich in dieser gigantischen Stadt völlig unerwartet einem bekannten Gesicht über den Weg laufen ließ? Denn als ich ein paar Tage später meine Emails abrief, war die Sache klar: Es ist wirklich Navin gewesen, den ich da gesehen hatte, ein Inder, den ich durch meinen ersten Aufenthalt in Mumbai vor drei Jahren kannte. Wir hatten nur sporadisch Kontakt gehalten und er hatte nicht geantwortet, als ich ihm schrieb, dass ich wieder in der Stadt sein würde. Weil ich seine alte Adresse benutzt hatte, wie sich nun herausstellte.
Navin glaubt an Schicksal. Er hält es nicht für bloßen Zufall, dass wir uns in der indischen Metropole begegneten. Was ihn da so sicher macht weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist es so wie mit allem, was Glaube betrifft: Mit wissen hat es nicht viel zu tun.
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